Thonet, die Geschichte einer Industriedynastie

Thonet ist ein Name, der in der Geschichte des Designs eine wichtige Rolle spielt. Seit 1819 und den Anfängen von Michael Thonet in Boppard am Rhein steht dieser Name mit deutsch-österreichischem Ursprung für die industrielle Massenproduktion von Möbeln. Das Abenteuer dieser außergewöhnlichen Unternehmerfamilie hätte mit dem ersten und zweiten Weltkrieg enden können. Doch die direkten Nachkommen des Gründers der Thonet-Dynastie, Michael Thonet, produzieren und vertreiben weiterhin weltweit Möbel aus Bugholz, das Markenzeichen des vor über 150 Jahren gegründeten Unternehmens. Thonet symbolisiert zwar den industriellen Erfolg, doch seine Geschichte ist auch eng mit den kreativsten Designern ihrer Zeit verbunden.

Alles beginnt mit Michael Thonet, der 1796 in Boppard, einer Stadt am Rhein in der Nähe von Koblenz, geboren wurde. Als Sohn eines Gerbermeisters machte sich Michael Thonet 1819 als Tischler selbstständig und startete sein Geschäft mit der Herstellung von Möbeln im Stil des "Biedermeier", einem Begriff, der eine bestimmte Lebensart in den deutschen Ländern zwischen 1815 und 1848 bezeichnet. So stellt er leicht bewegte Schränke, Betten, Tische und Sitzmöbel ohne übertriebene Verzierungen mit Kirsch-, Birnbaum- oder Mahagonifurnier her. Die Geschichte beschleunigte sich 1953, als Michael Thonet beschloss, die Firma "Thonet Gebrüder" zu gründen und sein Geschäft in eine auf den Namen seiner fünf Söhne gegründete Gesellschaft umzuwandeln. Der Geniestreich des Familienpatriarchen bestand darin, dass er schnell erkannte, dass sein Unternehmen, um erfolgreich zu sein, industriell in Serie Möbel herstellen musste, die dem Markt entsprachen. In gewisser Weise war er seiner Zeit weit voraus, was den Massenkonsum betraf. Um seine Möbel erfolgreich zu industrialisieren, verstand Michael Thonet, dass die Bestandteile seiner Holzkreationen austauschbar sein mussten. Das bedeutet, massenhaft Elemente zu produzieren, die also austauschbar sind und es ermöglichen, in der Fabrik eine große Vielfalt an Modellen herzustellen. Der wirtschaftliche Nutzen ist unschlagbar: Diese Methode ermöglicht es ihm, die Anzahl der Einzelteile zu reduzieren und so die Produktions- und Lagerkosten niedrig zu halten. Die Geschichte einer erstaunlichen industriellen Erfolgsgeschichte beginnt... [caption id="attachment_6589" align="aligncenter" width="551"]family-thonet Michael Thonet und seine Kinder, um 1840. © www.didatticarte.it [/caption] Die Familie Thonet beschloss, zur industriellen Massenproduktion überzugehen und ließ eine Fabrik in den Wäldern von Mähren, genau in Koristschan, errichten. Die Wahl war klug, denn so konnte das Unternehmen in der Nähe der Rohstoffe sein, von einer Eisenbahnlinie profitieren und vor Ort arme und damit käufliche Arbeitskräfte beschäftigen. So entstand 1859 das Symbolstück des weltweiten Erfolgs von Thonet frères, das auch heute noch in der ganzen Welt verbreitet wird: der Konsumstuhl Nr. 14. [caption id="attachment_6590" align="aligncenter" width="541"]chaise-thonet Links: Ein THONET Bistrostuhl Nr. 14 aus dem Jahr 1859 - Internet Credit. © www.terre-meuble.fr Rechts: Der Thonet-Stuhl 214 , der auf der Website der Marke im Jahr 2016 vorgestellt wurde. © de.shop.thonet.de [/caption] Da der Stuhl nur aus sechs Teilen besteht - Rückenlehne und Hinterbeine sind ein Teil, die Innenseite der Rückenlehne ist verschraubt, der Sitz, die beiden Vorderbeine, ein Stabilisierungsring für alle vier Beine -, fügen sich die einzelnen Elemente auf natürliche Weise zusammen. Das Modell eignet sich so effektiv für die Massenproduktion: wenige Teile, leicht und vor allem ermöglicht die Montage des Möbelstücks, dass es schnell exportiert werden kann. Thonet erfindet den Bausatz, lange vor IKEA! Der Stuhl passt nämlich in einen Kasten von etwa 1 M3, der bis zu 36 zerlegte Stühle aufnehmen kann. Der niedrige Preis des Stuhls trug ebenfalls zu seinem weltweiten Erfolg bei : Stuhl Nr. 14 wurde später Stuhl 214 zum beliebtesten Stuhlmodell des 19. Jahrhunderts. Von 1859 bis 1930 wurden weltweit 50 Millionen Exemplare des Stuhls Nr. 14 verkauft! Auch heute noch ist er der meistproduzierte Stuhl der Welt. Viele Cafés und Brauereien schätzen diesen leichten und stapelbaren Stuhl, weshalb er auch als "Bistrostuhl" bezeichnet wird. [caption id="attachment_6602" align="aligncenter" width="471"]36-thonet-stühle 36 THONET-Stühle Nr. 14 in einer Kiste zerlegt, Thonet erfindet das Kit lange vor IKEA © www.terre-meuble.de[/caption] 1860 brachte Thonet frères ein neues Modell heraus, das in die Geschichte des Designs eingehen sollte: Schaukelstuhl Nr. 1 oder "Schaukelstuhl", der die von Michael Thonet patentierte Technik des gebogenen Holzes bei früheren Modellen in vollem Umfang nutzt. Das Unternehmen erfindet den Archetyp des Schaukelstuhls. Das von Thonet entworfene Modell ist in den USA ein durchschlagender Erfolg, im Gegensatz zu Europa, wo das Sitzen mit Alter gleichgesetzt wird. Angesichts der Nachfrage erobern Dutzende von Variationen des Elchmodells den amerikanischen Markt. Um seinen Bestsellern zum Erfolg zu verhelfen, arbeitete Michael Thonet intensiv an der Entwicklung der Bugholztechnik. Er ließ sich von anderen Bereichen wie der Küferei und den Bootsbauern inspirieren, die darüber nachdachten, die natürliche Elastizität des Holzes auszunutzen. Seine revolutionäre Idee bestand darin, Holzblätter gleicher Dicke in Leim zu kochen, um ihnen die gewünschte Krümmung zu verleihen. [caption id="attachment_6603" align="aligncenter" width="485"]rocking-chair-freres-thonet Thonet Frères, Rocking Chair, 1860. © www.interieurites.com[/caption] Anfang des 20. Jahrhunderts ist Thonet Frères ein florierendes Unternehmen. Die Firma beschäftigte fast 6.500 Arbeiter und produzierte allein im Jahr 1913 1,8 Millionen Möbelstücke. Nach dem ErstenWeltkrieg wurde die Firma schwächer, die Exportmärkte brachen ein, und das Unternehmen fusionierte mit der Kohn-Mundus-Gruppe zu einer einzigen Holdinggesellschaft. Es war Le Corbusier, ein Bewunderer des Einfallsreichtums und des Designs von Thonet, der den berühmten Hersteller als erster aus seiner Lethargie erweckte, indem er anlässlich der Internationalen Ausstellung für dekorative Kunst in Paris 1925 das Modell 6009 der Marke für den Pavillon de l'Esprit Nouveau auswählte. Eine neue Generation von Architekten und Designern wird dann die Kreativität von Thonet wiederbeleben... [caption id="attachment_6604" align="aligncenter" width="431"]thonet-6009 Thonet Frères, Chair model 6009 © www.pinterest.com[/caption] [caption id="attachment_6605" align="aligncenter" width="528"]maison-la-roche-jeanneret-paris Thonet-Stühle, die in den Maisons La Roche-Jeanneret installiert wurden, 1923. Das Haus wurde von Le Corbusier entworfen, einem großen Bewunderer des Designs der Thonet-Stühle © de.thonet.de[/caption] In den 1920er Jahren legte die Bauhaus-Schule die Grundlagen für die moderne Architektur. An dieser renommierten Schule unterrichteten die größten Künstler und Designer der Jahrhundertwende die junge Generation in Zeichnen, Architektur und bildender Kunst oder arbeiteten einfach mit dem berühmten Institut zusammen. Zu ihnen gehörten Wassily Kandinsky, Marcel Breuer, Ludwig Mies van der Rohe, Le Corbusier oder Frank Lloyd Wright und so weiter. 1926 erfand der niederländische Architekt und Stuhldesigner Mart Stam einen Freischwinger aus Stahlrohr, d. h. eine Sitzfläche, die hinten keine Beine hat. Ludwig Mies van der Rohe informiert sich daraufhin über die Arbeit des Holländers und berichtet Marcel Breuer, dem damaligen Professor am Bauhaus, davon. Breuer und Stam werden Stuhlmodelle entwerfen, die das Prinzip des Freischwingers nutzen, aber die Neuheit der damaligen Zeit verwenden: Stahlrohr. Die Entdeckung des Freischwingers oder Freischwingers, einer Art Freischwinger ohne Hinterbeine, gilt heute als eine der wichtigsten Entdeckungen des 20. Jahrhunderts im Bereich des Designs. Und es ist Thonet, der diese Sitzmöbel herausgibt..., die seitdem zu Klassikern in seinem Sortiment geworden sind und als "ganz normale" Klassiker der Designgeschichte gelten. So wurde der Stuhl Modell S33 von Stam, der erste Stuhlmalvorgestellt wurde und seitdem zu einem Klassiker bei Thonet geworden ist, wird auch heute noch hergestellt. Andere Modelle wie der S 32, S 64 und der Freischwinger S 35 von Marcel Breuer oder der Sessel S 533 von Ludwig Mies van der Rohe machen Thonet zum 1ersten Hersteller von Stahlrohrmöbeln weltweit. [caption id="attachment_6611" align="aligncenter" width="445"]thonet-mart-stam Der Stuhl S33 von Mart Stam (Kunsturheberrecht), 1926, ein Klassiker, der immer noch von Thonet aufgelegt wird. © de.thonet.de[/caption] [caption id="attachment_6612" align="aligncenter" width="441"]thonet-marcel-breuer Der Stuhl S 32 von Marcel Breuer (Modell S 64 mit Armlehnen), künstlerisches Urheberrecht Mart Stam, 1929/30. © de.shop.thonet.de[/caption] [caption id="attachment_6613" align="aligncenter" width="398"]thonet-mies-van-der-rohe Sessel S 533 R, Ludwig Mies van der Rohe, 1927. © de.thonet.de[/caption] Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte Thonet eine weitere schwierige Zeit und das Unternehmen musste die Enteignung seiner Fabriken in Osteuropa hinnehmen. Seine zentrale Fabrik am Stephanplatz in Wien wird sogar zerstört. Glücklicherweise lässt Georg Thonet, der Urenkel des Gründers Michael Thonet, bereits Ende der 1940er Jahre die Fabrik in Frankenberg/Eder im Norden wieder aufbauen. Von da an kann man von einer Thonet-Dynastie sprechen, da die Marke wirklich wiedergeboren wurde und weiterhin die brillantesten Designer und Architekten an sich ziehen wird. Als Beweis für den historischen Fußabdruck, den der Möbelhersteller hinterlassen hat, widmete das berühmte MoMA in New York Thonet im Jahr 1953 eine Ausstellung. Zu den erfolgreichen Kooperationen zwischen der Marke Thonet und weltbekannten Designern gehört auch der berühmte S-chair (Modell 275) in der Originalfarbe Weiß, die 1956 von Verner Panton und ab 1965 von Thonet hergestellt. Er besteht aus Plywood-Holz und ist von dem nicht minder berühmten Zickzack-Stuhl von Rietveld inspiriert. Die Liste der talentierten Designer, die in den letzten 60 Jahren mit Thonet zusammengearbeitet haben, ließe sich beliebig fortsetzen. Zu ihnen gehören Egon Eiermann, Pierre Paulin, Gerd Lange, Hartmut Lohmeyer, Ulrich Böhme und Wulf Schneider, Lord Norman Foster, James Irvine, Piero Lissoni, Stefan Diez, Läufer Keichel und viele andere. Thonet versammelt die Weltspitze des Designs um sein Know-how! [caption id="attachment_6615" align="aligncenter" width="376"]bureau-francais-cm-141-thonet-pierre-paulin Französischer Schreibtisch CM 141 aus Eiche von Pierre Paulin, herausgegeben von Thonet in den 1950er Jahren. [/caption] [caption id="attachment_6621" align="aligncenter" width="387"]chaise-s-panton Verner Panton, Chaise en S (Modell 275), hergestellt von Thonet ab 1965. © catalog.quittenbaum.de [/caption] Das Unternehmen wird heute von einem direkten Nachkommen von Michael Thonet, Peter Thonet, geleitet, der von anderen Familienmitgliedern unterstützt wird. Sie führen den kreativen Geist der ältesten Möbelmarke der Welt fort. Der Hauptsitz und die Produktionsstätte befinden sich in Frankenberg/Eder, Deutschland. Während Thonet für seine berühmten Bugholzmöbel sowie seine klassischen Stahlrohrmöbel aus der Bauhaus-Ära bekannt ist, bereichert die Marke ihre Kollektionen auch weiterhin durch Entwürfe renommierter zeitgenössischer Architekten und Designer. Die Thonet-Dynastie ist also noch lange nicht am Ende! [caption id="attachment_6622" align="aligncenter" width="525"]s5001-thonet Sessel und Sofa mit zwei oder drei Sitzen, "Modell S 5001 - hoch hoch", Design James Irvine, 2006, herausgegeben von Thonet © de.shop.thonet.de[/caption]

Geschrieben von François Boutard

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