Thonet: die zeitlose Eleganz von Bugholzstühlen

Wie kann man weiterhin die Eleganz und Modernität des Stuhls verkörpern? Diese Frage müssen sich die Führungskräfte des deutschen Herstellers von Stühlen und Designmöbeln Thonet GmbH täglich stellen. Sie sind die historischen Erben der berühmten Marke Thonet (Gebrüder Thonet), die 1853 in Wien von dem deutsch-österreichischen Tischler und Industriellen Michael Thonet (1796-1871) gegründet wurde. Der Name Thonet ist untrennbar mit der Geschichte des Designs verbunden, da der deutsche Hersteller 2 große Revolutionen in der Geschichte des Möbels verkörpert: die Herstellung von Stühlen aus gebogenem Holz und die Herstellung von Sitzflächen aus Stahlrohr ohne Hinterbeine in der Bauhaus-Ära. Dieser Artikel blickt auf eine Industriegeschichte zurück, die vor 170 Jahren begann und weitergeschrieben wird ...

Porträt von Michael Thonet. Er gründete zunächst seine eigene Möbelfirma, bevor er in den 1840er Jahren nach Wien zog und die Gebrüder Thonet gründete. thonet.de

Michael Thonet wurde am 2. Juli 1796 in Boppard im Kurfürstentum Trier, einem geistlichen Fürstentum des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, geboren. Als Tischler gründete er 1819 ein kleines Möbelunternehmen, bevor er in den 1940er Jahren auf Wunsch des österreichischen Kanzlers Fürst Clemens Metternich nach Wien zog. Dieser ermöglichte es ihm, die Qualität seiner Handwerkskunst dem Kaiser von Österreich, König von Ungarn und König von Böhmen, Ferdinand I., vorzustellen. 1853 überträgt Michael Thonet das Unternehmen "Thonet" unter dem neuen Namen "Gebrüder Thonet" an seine Söhne. In Wirklichkeit hatte er schon seit einigen Jahren über die Massenindustrialisierung von Möbeln nachgedacht und Techniken entwickelt, um Holz zu biegen.

Am 1851 entwickelte und produzierte Michael Thonet den berühmten Stuhl Nr. 14, den sogenannten "Bistro-Stuhl", in Serie, um der Nachfrage des Café Daum nach "praktischen, eleganten und platzsparenden Stühlen" nachzukommen.Michael Thonet gelingt daraufhin aus drei Gründen ein Geniestreich. 1) Der Stuhl Nr. 14 ist der erste serienmäßig herstellbare Stuhl in der Geschichte des Designs. Seine relativ einfache Konstruktion ermöglicht es, die Arbeit zu teilen: 6 Holzstücke, 10 Schrauben und 2 Muttern, insgesamt 18 Einzelteile - fertig! Er lässt sich leicht zusammenbauen, auseinandernehmen und transportieren. 2) Michael Thonet erfindet das Möbelstück im Bausatz fast ein Jahrhundert vor IKEA: Der Industrielle verschickt seine Stühle in einer 1 m3 großen Kiste, die bis zu 36 Stühle aufnehmen kann! 3) Schließlich entwickelt er endgültig die Technik des Massivholzbiegens, mit der er das Holz zu einem Stück mit geleckten Formen biegen kann.

Ensemble von 10 Caféhausstühlen aus Buchenholz, Modell Nr. 14, Thonet. Die Sitzflächen sind aus geflochtenem Rattan. © Bruun Rasmussen.
Stuhl Nr. 14, Design Michael Thonet. Gebogene Buche, Sitzfläche aus Rohrgeflecht. Der bekannteste Bistrostuhl der Welt. Die Produktion des Stuhls Nr. 14 wurde 1859 von Gebrüder Thonet aufgenommen.
Ein 1 m3 großer Kasten bot Platz für bis zu 36 zerlegte Stühle Nr. 14. © artdesigntendance.com
Rocking Chair, Modell von 1908, Thonet. © bellelurette.eu
Rocking Chair, Modell von 1908, Thonet. Detailansicht der geschwungenen Linien. © bellelurette.eu
Sessel Nr. 209, Design: 1900. Hier ein Stück, das in den 1980er Jahren in Deutschland von Thonet hergestellt wurde. © pamono.de
Sessel Nr. 209, Design: 1900. Hier ein Stück, das in den 1980er Jahren in Deutschland von Thonet hergestellt wurde. Schönheit und Eleganz des gebogenen Holzes. © pamono.de
Sessel Nr. 209, Design: 1900. Ein anderer Blickwinkel. © pamono.de

Um das Holz zu biegen, erfand Michael Thonet ein revolutionäres Verfahren. Er setzt das Holz unter Dampfdruck aus, wodurch die Zellulose elastischer und das Lignin weicher wird. Durch die Elastizität kann das Holz nun entlang seiner Fasern gebogen werden. Nach dem Trocknen erhält es eine neue, stabile und elastische Form.

Durch die Wiederholung dieser Vorgänge wird die Herstellung in großem Maßstab möglich, was den Thonet-Sitzmöbeln ein hervorragendes Preis-Leistungs-Verhältnis verleiht. Im Jahr 1912 erreichte die Produktion des Herstellers einen Höhepunkt: Es waren fast 2 Millionen verschiedene Produkte, die täglich in den Fabriken des Konzerns (Mähren, Deutsches Reich und Osteuropa) zusammengebaut wurden.

Biegen von Holz in einer Thonet-Fabrikhalle, um 1900 © barnebys.fr

Als Industrieimperium erlebt Thonet Schwankungen, wird aber nie untergehen. Seit 1876 ist das Haus in 2 Firmen aufgeteilt: eine deutsche Firma (Gebrüder Thonet), die 2006 zur Thonet GmbH wurde, und eine österreichische Firma (Thonet Vienna). Die Nachkommen von Michael Thonet bleiben als Aktionäre und Geschäftspartner an den Geschäften des deutschen Hauses beteiligt. Wie andere historische Verleger hat Thonet sein technisches Know-how bewahrt, indem es es mit der Gothaer Riege moderner und zeitgenössischer Designer verband. Beispiele hierfür sind Verner Panton mit dem ikonischen Modell 275 (S-Chair, 1965) oder James Irvine, der 150 Jahre später den Stuhl Nr. 14 überarbeitet.

Stuhl Modell Nr. 275 (S-Chair), Design von Verner Panton, 1956. Ab 1965 von Thonet produziert. © artsy.net
Anlässlich des 150-jährigen Jubiläums seines Stuhls Nr. 14 beauftragte Thonet den Designer James Irvine, das Modell für den japanischen Einzelhändler Muji neu zu entwerfen. Die Kollektion "Muji manufactured by Thonet" umfasst auch eine Reihe von Holztischen sowie Modelle aus Stahlrohr, die von Konstantin Grcic entworfen wurden. © Thonet

Thonet prägte auch die Designgeschichte in den 1920er und frühen 1930er Jahren. Eine Zeit, in der eine neue Generation von Architekten und Künstlern mit Kühnheit und Radikalität den theoretischen und ästhetischen Kanon erschütterte, der vom Jugendstil und Art déco geerbt worden war. Die Entwicklung neuer Materialien wie Stahl und neuer Verbindungstechniken revolutionierte das Design dieser Zeit.

So kaufte Thonet 1928 die Firma Standard-Möbel, die ursprünglich von Marcel Breuer gegründet worden war und sich der Herstellung von Stahlrohrmöbeln widmete. Dieses neue Verfahren führte zur Erfindung des Freischwingers, eines freitragenden Stuhls ohne Hinterbeine. Thonet wurde damals und ist seitdem der Herausgeber legendärer Modelle wie dem Freischwinger S 33 von Mart Stam oder dem Sessel S 35 L von Marcel Breuer.

Cantilever-Stuhl Modell S 33, Design Mart Stam, 1926. Ein Designklassiker, der immer noch bei Thonet aufgelegt wird. © thonet.de
Cantilever-Sessel Modell S 35 L, Design von Marcel Breuer, 1929. Eine Ikone, die auch heute noch von dem deutschen Hersteller aufgelegt wird. thonet.de

François Boutard

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